Rauhnacht

2006

Von den Auswüchsen des Aberglaubens

Babenhausen |fs|
 

Bigottische Ratschweiber der „Engel Mariens“, eine mit dem „Dämon“ bestens kooperierende „Schwarze Paula“ als Wahrsagerin, Exorzismusauswüchse oder sich beim Julfest verlustierende sexy Hexen, das sind die Eckpfeiler des bestens umgesetzten Musicals „Rauhnacht“. In ihm dreht sich alles um ein Bauernehepaar, dessen Kind ausgerechnet zur Rauhnachtzeit zur Welt kommen soll, was dem Aberglauben nach zu Totgeburt oder schweren Schäden für Mutter oder Kind führen soll.

Nach halbjährigem, intensiven Proben hob sich im Theater am Espach der Vorhang für das von Regisseur Anton Demmeler selbst verfasste Musical „Rauhnacht“, dessen Musik zudem aus der Feder der zehnköpfigen Musicalband unter der musikalischen Leiterin Sandra Kalischek stammt. Darunter befinden sich Songs, die absolut ins Ohr gehen und die unter anderer Medien-Konstellation durchaus Chancen hätten, die Hitparade zu stürmen.

Eingangs beobachten Vertreter der „Engel Mariens“, bigottische Ratschweiber, die alles andere als weihnachtliche Feier des Männergesangsvereins, die ihre Weihnachtsfeier mit einem nach Bier stinkenden Nikolaus ebenso garnieren, wie mit einer Stripperin. Da passt dann das „Lasst uns froh und munter sein“ ebenso, wie das militärisch zackige Lied vom Westerwald oder die „Stille Nacht“ im Schützengraben. Zwar gab es begeisterten Applaus für die Auftaktszenen, jedoch bleibt die Frage, ob diese für den Spannungsbogen des Stückes unbedingt von Nöten gewesen wäre, einmal abgesehen von den „Sachverständigen“ bei der Abwehr böser Geister oder dem „tumben“ Liebespaar („Warum hat mich Gott geschaffen“), deren „Warum“ zu den Highlights gehörte.

Der schwarzen Paula ausgeliefert

Für die Bauersleute Urban und Zenta, deren Kind ausgerechnet in den Zeiten der Raunächte zur Welt kommen soll, beginnt aber die Odyssee, die sie in die Klauen der geldgierigen „Schwarzen Paula“ samt ihrem Medium bringen. Ohne Vorkasse geht da gar nichts, auch keine Hilfe aus dem Siebten Buch Moses. Ein Satz der Priesterin könnte aber für das gesamte Musical stehen, nämlich „ohne Musik geht gar nichts“ – und die war absolut Spitze, sowohl in der Komposition, als auch in der gesanglichen und instrumentalen Umsetzung.

So einiges an Aberglauben rankt sich um die Raunächte, aber auch um die Abwehr der bösen Geister für Mutter und Kind. Deshalb sollte das Bauernehepaar die Neumonds-Nachgeburt ebenso beim Julfest versenken, wie die in eine benutzte Unterwäsche eingewickelten 500-Euro-Zusatzprämie.

Rund geht es dabei mit dem im Bunde steckenden, hervorragend kostümierten Hexenmeister und seinen „sexy Weibern“, die sich mit ihren Galanen beim Julfest verlustieren und dies mit den Aberglaube-Euros finanzieren wollen. Belzebubsche Brunftschreie, die ferngesteuerte Frettchen zum Laufen bringen, ins Ohr gehende Raggae-Musik oder ein begeisternder „Hexenritt“ stehen auch musikalisch im Kontrast zum wehklagenden Bauernpaar oder dem naiven Liebespaar, das mit der Wegnahme der hinterlegten 500 Euro selbst in den Strudel mit hinein gezogen wird.

Für allen Unbill muss schließlich die Magd Rosa herhalten, in der natürlich der Teufel steckt, den es mit Kneifzange, „Wahrheitssalbe“, Halleluja-.Wasser, sprich Weihwasser, Knoblauchspur und allerlei Beschwörungen auszutreiben gilt. Begeisternd die drei Vertreterinnen der „Engel Mariens“, die sich dazu charakterlich schrullig hervorragend einbringen. Bleibt aber die Frage, weshalb man die schweizerische Folkloretruppe zum Teufelsaustreiben benötigt, außer um dem Publikum etwas Abwechslung zu bieten.

Neue Wege

Neue Wege geht die Theatergruppe „Schmiere“ auch mit der Videoeinblendung der „Unschuldigen Kindlein“, wobei sich der Betrachter frägt, ob die als Stummfilmsequenz eingespielten Bilder so ?tonlos‘ geplant war. In bester Schmiere-Manier verdichtet sich im letzten Akt das ganze Geschehen rund um Aberglaube, Bigotterie und Satansglaube, wobei letzterer („Dr Deifl, der Sauhund, hat eine Seele geholt!“) fast folgerichtig das „Kind geholt“ hat, da ja der Nachtvogel Unheil angekündigt hatte. Schwarze Messe mit ?hebräischer‘ Botschaft, die Säuberung des Ortes vor den Geistern und die Todessehnsucht des naiven Liebespaares, das schließlich dem „toten Kindlein“ folgend ins Wasser geht, treiben den Handlungsablauf zum absoluten Höhepunkt. Ob es den Nachschlag mit dem bestens umgesetzten Totentanzes noch bedurfte, wobei sich darin letztendlich die Antriebsfeder der „Schwarzen Paula“ entschlüsselte, bleibt dem Betrachter überlassen.

Eines ist aber sicher, dass die Theatergruppe „Schmiere“ mit ihrem diesjährigen Musical wieder Themen aufgriff, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen und dass nach dem ersten Akt weit gehend „Schluss mit lustig“ ist. Faszinierend auch die Herausarbeitung der Charaktere, wobei maskenbildnerisch die Naturgeister sicherlich den Höhepunkt darstellen. Die musikalischen Eigenkompositionen und deren Umsetzung verraten höchste Perfektion, was auch für die schauspielerisch Seite gilt – was aber Schmiere-Besucher schon seit Bestehen dieser Bühne gewohnt sind, ebenso wie die jeweils zugespitzte Thematik, an der sich sicherlich wieder die Geister, diesmal aber diejenigen der Besucher, scheiden dürften.

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