LU

2005

Sittengemälde mit tödlichem Ausgang

Schmiere: Premiere für Drama um Künstlerin Lu Werther, das auf einer wahren Begebenheit des Jahres 1929 basiert

Babenhausen |fs|
 

„Da kommt Leben nach Babenhausen!“, mit diesen Worten begrüßte der damalige Babenhauser Bürgermeister im Jahr 1929 die Süddeutsche Operettenbühne. Deren mehrmonatiges Gastspiel sollte aber mit dem Tod der Soubrette Lu Werther tragisch enden. Aus den Recherchen der Theatergruppe „Schmiere“ entwickelte sich ein Sittengemälde jener Zeit, von scheinheiligen Bürgern, einer verschämt besuchten Liebesdienerin bis hin zur Engelmacherin – ein dramatischer Spannungsbogen.

„Herzlich willkommen in Babenhausen, einer theaterbegeisterten Kommune“, in diesem Sinne begrüßte 1929 der amtierende Bürgermeister die Münchner Theatergruppe im Fuggermarkt. Und dahinter waren verschiedenste Interessen versteckt, sowohl finanzieller und kultureller als auch erotischer Natur. Pointiert brachte Regisseur und Drehbuchautor Anton Demmeler Babenhauser Charaktere der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf die Bühne, allerdings mit veränderten Namen. Man darf gespannt sein, welche Reaktionen die tatsächlich damals existenten Figuren heute hervorrufen, gleichgültig ob der gockelnde Schneidermeister, der warm angehauchte Kurat, die bei der Nachbarin aneckende Liebesdienerin oder gar die Engelmacherin. Doch auch die nymphomane Bürgerin, der sexistische Oberlehrer oder die Hand aufhaltenden Marktverantwortlichen dürften polarisieren – jeder auf seine Art. Diesen Spiegel halten die über 30 bestens positionierten Darsteller, die von zehn weiteren Akteuren hinter der Bühne hervorragend unterstützt werden, einer heuchlerischen Zeit, aber auch dem Publikum, vor. Ungewohnt heiter steigt Schmiere in das historische Drama ein und legt trotzdem die Finger in die Wunden einer heuchlerischen Gesellschaft. Dabei reißen sich bei der Quartierverteilung alle um die hübsche Lu, deren Namen als einziger beibehalten wurde, obwohl diese schon längst dem Schneider versprochen ist. Allerdings erinnert das Procedere eher an einen Sklavenmarkt.

Freund unter Dampf

Dies sollte sich dann in der Schneiderwerkstatt fortsetzen. Während der bestens in Szene gesetzte Meister um die hübsche Lu, die ihn letztendlich erhört, liebdienert, müssen die Angestellten eine unentgeltliche Sonderschicht nach der anderen schieben. Da platzt Lus Freund in die Szene. Dieser steht mächtig unter Dampf, den er aber schon bald bei einer hübschen Bürgerin ablassen wird. Doch der Anfang vom Ende ist eingeläutet. Der dritte Akt gefällt durch musikalische Einschübe in einer Art Probe zu „Gräfin Mariza“ und der „Lustigen Witwe“, wobei das Duett zwischen Lu und ihrem feurigen Freund den absoluten Höhepunkt darstellt. Historisch dokumentiert ist auch die Fan- Gruppe der schönen Lu („Immerzu – Lu, Lu, Lu!“), die den Star mit dem Lu-Haarband nachahmt.

Schicksal schlägt zu

Doch wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlägt das Schicksal zu. Die im zweiten Monat schwangere Lu, die zwischen Freund und Schneidermeister schwankt, bricht bei der Probe zusammen. Rat holen sich die Verantwortlichen bei der Liebesdienerin, wobei der Oberlehrer bei einer hosenlosen Elternbesprechung, damals „Ausübung der Unzucht“, ebenso erwischt wird, wie andere Freier. Diese Pro-Forma-Kontrolle dient aber nur dazu („Wo bleibt denn die Moral“), die geplante Abtreibung zu organisieren, wobei ein Marktrat mit einschlägiger Erfahrung die Kontakte knüpft. Diese geht dann in einer Waldwirtschaft über die Bühne. Während der Schneider sowohl Engelmacherin als auch Schweigegeld bezahlt, bezahlt Lu einen noch höheren Preis, nämlich letztendlich mit ihrem Leben. Eine Stecknadel hätte man fallen hören können, während im „Nebenzimmer“ die Abtreibung über die Bühne geht. Besonders bedrückend, da es sich um eine wahre Babenhauser Begebenheit handelt. Unabwendbar neigt sich die Handlung ihrem dramatischen Ende im Babenhauser Bezirkskrankenhaus entgegen, die mit dem Geheimnis umwobenen Tod der Lu Werther endet. Dessen Lösung, aber auch diejenige des umdatierten Abschiedsgrußes, seien aber an dieser Stelle nicht verraten.

Gekonnte Inszenierung

Der Schmiere gelang es in einer gekonnt inszenierten Aufführung, mit fantasievollen Kostümen und Accessoires, bestens in Szene gesetzten Charakteren und gelungenen Musikbeiträgen, ein Stück Geschichte der Vergangenheit zu entreißen, wobei die anfänglichen Lacher relativ schnell in Betroffenheit umschlagen.

 

Quelle: Illertisser Zeitung vom 24. Oktober 2005