Ja, Ich will...!

2011

Großartiger Neubeginn

Gelungene Musicalpremiere der Theatergruppe Schmiere mit dem Stück „Ja, ich will!“

Babenhausen |fs|
 

„Nichts auf der Welt ist so mächtig, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“ Zwar macht dieser Spruch auf der „Mauer“ in erster Linie auf die Öffnung des eisernen Vorhangs samt Wiedervereinigung aufmerksam, jedoch könnte er ebenso für die Theatergruppe Schmiere stehen. Auch für sie gab es nach dem Abschiedsschmerz für Anton Demmeler nach langen Diskussionen wieder einen Neuanfang – sehr zum Segen für die Babenhauser Theaterszene.

Und mit Michael Dreier hat sich ein junger Stückeschreiber und Regisseur gefunden, vor dessen Mut, aber vor allem Engagement man nur den Hut ziehen kann. So durchleuchtet er in sechs Akten des Musicals „Ja, ich will!“ mannigfaltige Trennungen und Abschiede, aber auch Neubeginne.

So beginnt alles bei einer Hochzeitfeier, bei der die unterschiedlichsten Charaktere auf einander treffen, vom griesgrämigen Brautvater und einer quietschfidelen Tante Paula bis hin zur leicht dementen Oma. Da durfte natürlich eine Brautentführung und ein gelungener Gardetanz ebenso wenig fehlen, wie die gesungene Liebeserklärung der Braut. Allerdings hätte man ihr dabei dieselbe Intensität gewünscht, mit der sie ihren Gatten eroberte.

Doch anstatt den üblichen Hochzeitsspielen müssen die Hauptbeteiligten ihr Leben in Szenen darstellen. So hat sich der Bräutigam in einer mit Nullbock-Schülern versehenen Klasse zu bewähren. Hinter all den vermeintlichen Oberflächlichkeiten steckt aber ein gemeinsamer Wunsch, nämlich der nach mehr Zuwendung durch die Eltern. Äußerst ansprechend dann der „Schulchor“.

Skurrile Typen am Kiosk

Eine der Schlüsselszenen spielt am Bahnhofskiosk der Braut, an dem sie ihren späteren Gatten kennenlernt. Ein- und Abfahrt, Kommen und Gehen, Auf und Ab – die skurrilen Typen im Wartesaal des Bahnhofs verkörpern dies bestens. Die musikalischen Höhepunkte des Musicals wurden hier hineingepackt, sowohl die powervolle „Workoholicerin“, vor allem aber die „A cappella“-Einlage, die Comedian Harmonists lassen grüßen, sorgten für Begeisterung. Im direkten Kontrast dazu aber ein, zwei Gesangseinlagen, die einfach merken lassen, dass eine gute, erfahrene Schauspielerin nicht unbedingt eine gute Sängerin sein muss. Oder sollte sich nur das Premierenfieber auf die Stimmbänder geschlagen haben? Ansonsten gab es im vierten Akt Partystimmung mit allen Varianten. Und die zukünftige Braut stellte unumwunden fest: „Der kommt mir nimmer aus!“

Und wenn eingefleischte Schmiere-Fans bis dahin noch gezweifelt haben sollten, ob das wirklich das kritische, „dunkle“ Theater früherer Jahre ist, so wurden sie in den beiden Abschlussszenen nicht enttäuscht. So wird „das Flüchtlingspack, das nur die Pest einschleift“, bei einem rassistischen Wohnungsinhaber einquartiert. Hier werden alle Vorurteile gegenüber den „Neuen aus dem Osten“ abgehandelt, wie sie damals auch in unserer Region vorkamen. Auch wenn – ein weiterer gesanglicher Höhepunkt – „Irgendwo auf der Welt der Weg zum Himmel anfängt“, so ganz gewiss nicht in diesem, einem Knast ähnelnden Hinterzimmer mit verkappten Gestapo-Wächtern.

Walter Ulbrichts historischer Satz „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ durfte bei Mauerbau und Wiedervereinigung natürlich nicht fehlen. Er wurde aus den damaligen Nachrichten eingespielt – bühnentechnisch war die Szene sicherlich der Höhepunkt. Doch nicht nur dessen staatspolitische Bedeutung wurde durchleuchtet, sondern auch die Mauer in den Köpfen der Menschen, vor allem aber das Trennende, das es niederzureißen gilt.

Was wäre ein Musical ohne gute Instrumentalisten? Dafür sorgte die „Schmiere-Band“ in bewährt souveräner Manier. Besonders positiv ist dabei, dass sie nicht im Orchestergraben spielt, sondern immer wieder aus dem Bühnenbild auftaucht, beispielsweise hinter einer Schultafel oder dem Zeitschriftenregal im Kiosk. Stark zudem, dass sich die Band schauspielerisch beziehungsweise gesanglich einbringt. Ein Lob in diesem Zusammenhang an die Technik, vor allem aber auch an die Maske, die ganze Arbeit leistete.

„Standing Ovations“ und lang anhaltender Beifall war der verdiente Lohn für eine überaus gelungene Premiere – in mehrfacher Hinsicht. Absolut spitze war aber auch das Premierenpublikum, das von der ersten Szene an voll dabei war, mitklatschte und gar mitsang, einfach ein Traum für eine Theatergruppe, wodurch diese gleich auf Wolke sieben schweben durfte.

Illertisser Zeitung Nr.:251 vom 31.10.2011