Colori

2008

Farbenfrohes Spektakel mit deutlichem Fingerzeig

Babenhausen |fs|
 

Rote Haare als sexuelle Anziehungskraft, Unschuldsweiß oder grüne Intensionen, Neidhammelgelb, Graue Panther oder bayerisches Himmelsblau – so breit wie die Farbpalette ist auch die Themenvielfalt, die die Theatergruppe „Schmiere“ in ihr neuestes Produkt, das Musical „Colori“, gepackt hat. Und dabei darf, so die gute alte Schmiere-Tradition, Sozialkritisches nicht fehlen.

Diese ist aber nicht in düsteren Szenen verpackt, wie bei früheren Aufführungen, sondern der erhobene Zeigefinger tippt diesmal nur an, will aufrütteln und zum Nachdenken anregen.

Fast 60 Mitwirkende

Und den knapp 60 Akteuren auf, hinter und unter der Bühne unter der Regie des Drehbuchautors Anton Demmeler und der musikalischen Gesamtleiterin Sandra Kalischek gelang ein äußerst anspruchsvolles, dem Musicaltitel entsprechend farbiges Werk, das die Premierengäste begeisterte. Sowohl Sketche, Gesang und Tanz bildeten trotz des Spektrums der acht Farben eine gelungene Einheit, in der sowohl die positive, aber auch die negative Symbolhaftigkeit der Farben intensiv aufgearbeitet und von der musikalisch auf hohem Niveau stehenden Schmiere-Band unterstützt und angetrieben wurde.

Nicht nur die „Lady in Red“ stand für die Farbe der Liebe samt Ausflügen ins Rotlichtmilieu, sondern auch das Feuerrot der Hölle und der Zerstörung, wobei stellvertretend die Reichskristallnacht, in ein jiddisches Lied verkleidet, stand. Beeindruckend auch der Abendappell bei der Clanmutter, eine moderne Hölle mit Politikerlügen, Korruption und Kinderpornoversand.

Im Kontrast dazu steht die Farbe weiß, die Unschuld, die sich im Brautkleid wieder findet, aber auch in den sexy „Vamp-Kleiderhüllen“ samt passendem Timbre in der Stimme der Sängerinnen. Gleichzeitig blickte Schmiere hinter die Kulissen der „Herren in den weißen Westen“.

Braun, an sich eine Erdfarbe, symbolisiert allerdings auch den Nationalsozialismus mit all seinen negativen Auswirkungen und geistigen Verirrungen.

Märchenspektrum

Auf der „Grünen Woche“ kontrastieren die Grünröcke mit den wohlproportionierten Elfen, wobei die modernen Märchentanten sicherlich den maskenbildnerischen Höhepunkt setzen. Im Grimmschen Märchenspektrum, gespickt mit Gewalt, wird aus Rumpelstilzchen ein Terrorist, fällt Hans im Glück in die Klauen der Investmentberater oder arbeitet Aschenputtel unter Mindestlohnniveau. Gleichzeitig beklagen Greenpeacevertreter eine etwas andere Waldeslust und der Bauernverbands-Chef den Niedergang der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, wobei der Bauern-Boogie-Woogie die Thematik tänzerisch gekonnt umsetzte. Gelb als Farbe der Asiaten, wobei ein schnörkelloser Sextourist der Kinderprostitution ungewollt die Maske vom Gesicht reißt, er die Puppen tanzen lässt und eine 15-jährige „Sklavin“ zumindest gesanglich den Ausbruch versucht. Auch das Gelb des Neides darf dabei nicht fehlen.

Graue Eminenzen, Graue Panther oder Grauzone, auch diese an sich Nicht-Farbe hat ihre Reize. Dabei setzte das Karnevalskomitee des Altenclubs „Concordia“ einen der schauspielerischen Höhepunkte. Unglaublich, wie viele Varianten es gibt, aus Langeweile während der Sitzung zu entschlafen. Überhaupt ist es ein Schmiere-Markenzeichen von Schmiere, dass alle Akteure stets im Einsatz sind, auch wenn sie nicht direkt im Rampenlicht der Szene stehen.

Das „Lied der Liebe zum Leben“ leitete dann zur Farbe Himmelblau über und zeichnete ein stimmungsvolles Bild des Himmels, nicht nur durch die Optik und die Sangeskunst der beiden Engel, die einen Erdenbürger „heimholten“.

Bajuwarisch wurde es bei Blau. Die Farbe der Romantik ‚kollidierte‘ aber mit einer weiß-blauen Wahlveranstaltung. Darin wird satirisch überzogen der Worthülsen einsetzende und Phrasen dreschende „Volksvertreter“ entlarvt, die Besucher zu Claqueuren degradiert und Proteste securitymäßig entschärft.

Perfektion und Teamgeist

Blau in Form von blue, nämlich Blues, setzte den Schlusspunkt, zu dem alle Akteure auf der Bühne erschienen und den verdienten Applaus für eine überaus gelungene Aufführung in Empfang nehmen konnten. „Schmiere“ steht für Perfektion und Teamgeist, was mit „Colori“ eindeutig demonstriert wurde und die leichte „Überlänge“ vergessen machte.

Illertisser Zeitung Nr.244 vom 20.10.2008