Windrose II

2004

„Windrose“ erblüht zu neuem Glanz

„Schmiere“-Musical auf höchstem Niveau

Babenhausen |fs|
 

Ob in die Märchenwelt, an den Fuggerhof, in die Unterwelt oder letztendlich ins Paradies, die Theatergruppe „Schmiere“ nimmt die Besucher ihres Musicals „Windrose II“ mit auf eine fantastische Reise mit zahlreichen Höhepunkten. Dabei sind zwar die ‚Ausflugsziele‘ bekannt, jedoch warten neue Handlungen, Lieder, Kostüme und Masken auf die ‚Mitreisenden‘. Dabei zeigen die rund 60 Mitwirkenden Theaterkunst vom Feinsten.

Ausgangsort der Musicalreise ist erneut der Hof König Prozzos. Doch dieser liegt in den letzten Zügen und versucht sein Reich zu ordnen. In seiner letzten Audienz kommt es zu einem misslungenen ‚Staatsstreich‘ und einem Aufruf „zur letzten Huldigung“. Dabei ist der Auftritt bekannter Märchenfiguren der absolute Höhepunkt. Allerdings hätten sich die Gebrüder Grimm wohl gewundert, wie sich die Charaktere ihrer Märchengestalten verwandelten. So wetteifert eine sex-geile Rapunzel mit einem nicht weniger attraktiven Schneewittchen, während Goldmarie mit ihrer Designer-Frau-Holle ins Rennen um Prozzos Gunst geht. Köstlich auch das knackige Rotkäppchen, das mit einer steeger-klimbimschen Gretel nicht nur den Prinzen Hannibal, sondern auch den gut ‚gemästeten‘ Hänsel ins Grübeln bringt. Dazu passt eine Königin auf Sozialhilfe-Tripp oder eine arbeitslose Mätresse Viagra. Doch auch die Minister glänzen in ihrer Überzeichnung, wobei lediglich ­ in einer Premiere durchaus verzeihbar ­ die Musik manchmal den Gesang überlagerte. Doch auch eine ‚weggeschüttelte‘ Prinzenperücke, eine Halbe im Maßkrug oder ein sich später im Paradies leicht öffnendes Affenkostüm können unter Premierenfieber problemlos abgehakt werden.

Theater im Theater, ebenfalls eine Premiere in der Premiere, gibt es dann am Fürstenhof, wo die unglückliche Prozzo-Tochter „Nivea“ an den gestelzten Geburtstagsfeierlichkeiten des Fürsten teilnehmen muss. Dabei wird liebevoll mit liebestoll ebenso verwechselt, wie voraus eilender Fürstengehorsam oder gekonnt ungelenke Balletteinlagen des Jungfrauenbundes beziehungsweise von Fürstenhausmitgliedern, was unterstreicht, dass „Dummheit vor dem Adel nicht Halt macht“. Grundlage des Historienspiels ist die verbürgte Geschichte vom „Brudermord in Babenhausen“ , einer rechbergischen Familientragödie in der Münz-Wirtschaft. Angesichts der Länge des Musicals bleibt aber die Frage, ob hier nicht weniger mehr wäre. Nach der eher leichten Kost des zweiten Aktes läuft „Schmiere“ dann in der Unterwelt zu gewohnter Höchstleistung auf. Dabei glänzt Gräfin Melusine nicht nur als Domina mit dem Folterknecht, sondern verkörpert überaus überzeugend den Vamp-Typ bis hin zum „Letzten Tango“. Doch auch der Tod samt seinen Helfern kommt gelungen rüber. Daneben läuft das Unterwelt-Dance-Ensemble zu Höchstleistungen auf. Verblüffend auch die Bußakte, für die Prominente hier für ihre irdischen Verfehlungen büßen müssen. So trägt Franz Josef Strauß einen Rucksack voll mit Schmiergeldern und ‚krummen Adressen‘ umher, sucht ­als einzige noch lebende Figur ­ Mooshammers Daisy liebestoll den läufigen Höllenhund oder schnorchelt Ludwig II im fiktiven Todessee. Unbestrittener Höhepunkt ist aber der Elvis‘ Jailhouse-Rock, strafverschärfend mit Heino-Unterbrechungen.

Aus dem Dunkel geht es abschließend ins heitere Paradies, in dem es wieder vor allerlei Getier wimmelt, der Wächterengel Dodo als „steiler Zahn“ Luzifer anmacht und mit dessen Himmelshandy Kontakte zum Erzengel Gabriel herstellt, der nicht nur mit dem Paradise-Rock glänzt und das Publikum mitreißt. Überzeugend werden die fünf Geheimnisse der Gegenwirklichkeit auf die Bühne gezaubert, die Achtung vor allem Leben, die Harmonie der Gemeinschaft oder die Fröhlichkeit im Gauklerkostüm, aber auch die Toleranz in Form des Mulitkulti-Tanzfestivals oder das Sich-Fallen-Lassen ins Land der Träume und Fantasie. Dies zog sich wie ein roter Faden durch das überzeugend inszenierte Musical, das aber auch gewisse Überlängen aufweist, bei dem Maske, Band und Schauspieler einen Höhepunkt an den anderen reihen. Als Fazit bekamen dann die begeisterten und mit Standing-Ovations nicht sparenden Premierengäste die Aufforderung mit nach Hause, nämlich: „Nimm‘ dein Herz in die Hand und zeige Mut und Courage!“ Und letzteres bewies nicht nur heuer die rund 60-köpfige Theatergruppe Schmiere mit ihrer Art Präsentation von Lebensbewältigung.

Die Gegensätzlichkeit wird am besten durch den alles beherrschenden Tod und den lebenslustigen Trovatore verdeutlicht. Nicht nur Prinz Hannibal bekommt Entscheidungsprobleme bei der Wahl…

Die schöne Domina. Eindrucksvoll waren im Stück auch die Bußklagen dieser Unterweltbewohner. Tanzakrobatik zeigten nicht nur die fast geläuterten Seelen in der Unterwelt.

Quelle: Illertisser Zeitung vom 18. Oktober 2004