Windrose

2003

Phantasieland der Superlative

Musical begeistert die Zuschauer – 45 Spieler in 119 Rollen

Babenhausen |fs|
 

Adam und Eva auf Mallorcatrip, Hitler und Stalin in der Vorhölle oder deutsche Dichter- und Musiklegenden am Babenhauser Fürstenhof, ein Ausflug in die Märchenwelt, in das Verborgene oder gar ins Paradies – bei einer derartigen Themenauswahl ist wieder „Schmiere“ angesagt. Mit ihrem Musical „Windrose“ zeigt sich die Babenhauser Bühne von ihrer besten Seite, wobei 45 Schauspieler in 119 Rollen schlüpfen. Ausgangspunkt ist eine Audienz von König Prozzo in der Märchenwelt. Dort tummeln sich allerlei fantasievoll ausgestattete Gestalten, gleichgültig ob Kriegsminister, Hofastronom oder Tourismuschef. Dabei dreht sich alles um dessen Familie, wobei natürlich eine Mätresse vom Format „Viagra“ nicht fehlen darf.

In dieser Werbepersiflage passen auch andere Namen wie diejenige der Prinzessin Nivea, des Tourismuschefs Nickermann oder das Valium, mit dem die Königliche Schwester in bester Goscinny-Art (Asterix) der Mund „gestopft“ wird. Natürlich ist bei Hofe auch ein minnesingender Troubadur, werden schwarze Botschafter angesichts leerer Kassen abgebürstet und für die Königstochter Ehemänner nach dem Geldsackprinzip gesucht.
 
Das Gesetz der Unterwelt
Da Wünsche nichts kosten dürfen, erfüllt der König seinen Töchtern nur solche, die den Geldbeutel nicht belasten. So geht es ins Verborgene, eine Art Dantes Hades, wo Große ganz klein werden und das Gesetz der Unterwelt herrscht. Hier zählt nur das Gebot des Todes, in eindrucksvoller Jedermann-Art inszeniert, der Kostproben seines Instrumentariums gibt.
 
Täglich auf Wallfahrt
Hier büßt Zarin Katharina für den Tod an ihrem Mann, werden Hitler und Stalin gemeinsam einem Hillibilli-Psychostress ausgesetzt oder gehen historische Kurtisanen täglich auf Wallfahrt. Eindrucksvoll die Begegnung der Prinzessin mit ihrem „geblendeten“ und verbannten Freund, wobei die Musik aus dem Musical „Gaudi“ (Parca Güell oder Too late) die Dramatik zusätzlich unterstreicht. Zumindest im Schmiere-Genre, folgt die Prinzessin ihrem Geliebten in den Tod. Einem Wunsch von Theo Lehner gemäß, der ebenfalls personifiziert wird („I kenn`mi mit dene kulturelle Sacha net so aus“), spielt die Vorzeitugkeit am Fuggerhof, der vor 200 Jahren die Fürstenerhebung feierte.
 
Geballte Musik und Poesie 

Geballte Musik- und Dichterfürsten mit all ihren Marotten werden dort karrikiert, jagt Goethe dem fürstlichen Gretchen hinterher, läßt Franz Schubert seine „launige Forelle“ von der Angel, widmet Beethoven seine Ode der Freude oder streut Friedrich Schiller im breiten schwäbisch seine Kritik ein. Einen Seitenhieb bekommt auch die Ballettszene ab, während „die Fugger“ für ihre Kunstbeflissenheit Lob erhalten.

Allerdings zeigt auch dieser höfische Maskenball, dass das Prinzip Ruhm, Wohlstand und Macht der Dreh- und Angelpunkt ist beziehungsweise die Apanage die Heiratsziele lenkt. Niederen Trieben geht da schon eher Goethe mit „Faust III und IV“ nach, bevor das Fest unter Ausschluss des Volkes im Gobelinsaal ausklingt. Maskentechnisch setzt die Fantasiereise in die Gegenzeitigkeit der Musicalproduktion die Krone auf. Was sich dort alles im Paradies tummelt, ob Adam und Eva mit Hnadyausstattung im Mallorcaverschnitt, lautlich hervorragend abgestimmt in Szene gesetztes Getier oder ein „versehentlich heilig gesprochener“, durchs Paradies irrender Ludwig der IX. Äußerst gelungen auch der Dialog zwischen Moses, der jiddische Klänge besteuert, und Mohammed, der Professionelle Bauchtänzerinnen im Reisegepäck hat. Da kann Mutter Thersa mit ihrem Halleluja nur schlecht ausschauen, während die Paradies-Flora in den schönsten Farben erblüht.

Eindrucksvoll 

Eindrucksvoll der Erzengel Gabriel, der die Fantsie-Reisenden zu einem Paradiesischen Traum einlädt, der nur vom Dämon unterbrochen wird. Und wie immer hält der Mann der evaischen Versuchung („Iss bloß koi Obscht“) nicht stand. Gigantisch dagegen dann auch das Schlusslied, das unter dem Motto „Leben ist Liebe und Liebe ist Leben“ steht, anlehnend an den Song „Total Eclypse of the heart“, besser bekannt aus dem Musical „Tanz der Vampire“.

In Höchstform

Nicht nur hier laufen die elf Musiker, aber auch die zahlreichen Sänger unter den 45 Schauspielern zu musikalischer Höchstform auf. Überhaupt beherrscht wieder aüßerste Präzision die Schmiere-Produktion, wobei kleinere, für den Laien kaum merkliche technische Aussetzer oder dem Premierenfieber zuzuschreibende, gut überbrückte und kaum vorkommende (Lied-) Textprobleme beziehungsweise zu früh ins Paradies stürmende Gorillas dem hervorragenden, dreistündigen Gesamteindruck keinen Abbruch tun.

Quelle: Illertisser Zeitung vom 20. Oktober 2003