Bis zum letzen Muckser

2002

Ein tragikomischer letzter Muckser

Theatergruppe „Schmiere“ geizt bei der Premiere ihres neuen Stückes nicht mit Sozialkritik – Publikum begeistert

Babenhausen |fs|
 

Pflegenotstand, Altersschwemme und Gefühlskälte oder Erbschleicher, eiskalte Schwiegertöchter und verlogene Grabreden, die Theatergruppe Schmiere macht in ihrer Tragikkomödie „Bis zum letzten Muckser“ vor kaum einem Tabu halt. Kritisch aber stets mit einer gesunden Prise Humor, wird dem Betrachter der sozialkritische Spiegel vorgehalten – und das auf höchstem schauspielerischen Niveau und mit hervorragender Maskenarbeit. Waren es bei „Zecil“ die Hexenverfolgungen oder bei Schindluder die Misstände der Kirche des Mittelalters, die auf ein Doppelkloster fokussiert wurden, so nimmt sich „Schmiere“ diesmal der Problematik um den „letzten Muckser“ und dessen Begleitumstände an. So wird in ein fiktives Altenheim alles impliziert, was sicherlich in dieser Häufung dort nicht anzutreffen ist, in Einzelfällen aber durchaus vorstellbar ist.

Absolut gelungen
Resolute Heimleiterin, korrupte Pfleger, die ihre Opfer ruhig stellen, und überlastetes Personal werden ebenso in Szene gesetzt, wie unter einander eifernde Heiminsassen, ein erbschleichender, auf sexuelle Details besessener Beichtvater („Gute Werke öffnen den Himmel“) oder eine auf das baldige Ableben des Opas Maihofer hoffende Schwiegertochter. Absolut gelungen auch die Sammlung skuriler Gestalten, von der Schnapsdrossel, einem wirren Kinski-Verschnitt oder dem ins Astrale abschweifende Künder des jüngsten Gerichts, aber auch eine überaltete Diva oder – Loriot läßt grüßen – ein überkanditeltes Beamtenehepaar, die, als Höhepunkt zusammen ein herrlich falsches Happy-Birthday zum Besten geben, das im Trauersong ein passendes Pendant findet.
 

Dabei dreht sich alles um Opa Maihofers 80.Geburtstag, den er im Altenheim feiert und wobei die Gratulanten vom Pflegepersonal kanalisiert durchgeschleust werden. An dessen Ende erleidet der Opa einen, von manchen erhofften, Herzinfarkt. So kommt dieser in die Notaufnahme, gefüllt mit gestressten, weit über die Zeit hinaus operierenden Ärzten und einem Halbgott in Weiß, der sehr wohl zwischen Kassen- und Privatpatienten unterscheidet beziehungsweise dessen Hauptaugenmerk dem knackigen Personal gilt.Sämtliche gängigen Klischees werden dabei bemüht: „Assistenzarzt probiert, Oberarzt operiert, Chefarzt kassiert, Schwester bussiert und Patient krepiert!“

Die Situationskomik kommt nicht zu kurz
Auch hier gibt es einige Extreme zu bewundern, vom Gehirnschleudertraumapatienten bis hin zum routinemäßig eiskalten Bestattungsunternehmer. Doch selbst in diesem Akt kommt die Situationskomik nicht zu kurz und es gibt einiges zu lachen. Und daran stirbt letztendlich Opa Maihofer. Wie und weshalb, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Geiz, Gefühlskälte und Herrschsucht seiner Schwiegertochter kommen dann beim Kauf der Trauerkleidung, zusammen mit der total verwirrten Schwiegermutter zum Ausdruck. Da wird nicht vor Übergrößen zurückgescheut, um den Kinderanzug bei demnächst anstehenden weiteren „Leichen“ auftragen zu können. Nach diesem eher emotionalen Erholungspart im Bekleidungshaus geht es im Schlußakt noch einmal in die Vollen. Sich anschweigende skurrile Stammtischbrüder, deren Hauptaugenmerk dem Fahrgestell der Bedienung gilt, ergänzen die Typensammlung aus dem Altersheim, aber auch die der Dorfhonoratioren. So wird wegen des schlechten Wetters die „Leich“ kurzfristig ins Wirtshaus verlegt und die Reden am fiktiven Grab („Wir befinden uns theoretisch noch auf dem Friedhof“) gehalten. Dabei bewahrheitet sich wieder einmal, dass nirgendwo so gelogen wird, wie bei einer Beerdigung. Vor dem Leichenschmaus dann noch eine handfeste Überraschung, für die Opa Maihofer stets gut war.
 
Aufreizend überzeichnend
Aber davon sollten sich die Theaterbesucher selber überzeugen. Für viel Diskussionsstoff dürfte die von Anton Demmeler inszenierte und selbst geschriebene Tragikkomödie sorgen, sieht sich doch dabei der eine oder andere Theaterbesucher selbst ertappt und macht der Autor vor keinem Tabuthema halt – das Ganze in Schmiere-Tradition aufreizend überzeichnend.
 

Die 35 Schauspieler in 55 Rollen jedenfalls präsentieren Spitzenleistungen, wobei ihnen die Rollen im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib geschrieben wurden. Eine Meisterleistung bietet diesmal die „Maske“, muss sie doch die Jungen auf Uralt trimmen. Nur gut, dass im Programmheft deren wahre Gesichter als Kontrast zu sehen sind, oftmals hätte man sie nämlich sonst nicht erkannt.

Quelle: Illertisser Zeitung 28.10.2002