Spätlese

2001

Besondere Gewächse der Nacht

Die Theatergruppe „Schmiere“ glänzt bei Premiere ihres Musicals „Spätlese“

Babenhausen |fs|
 

„Nacht ist jene Zeit, in der der Mensch rund die Hälfte seines Lebens verbringt“ – Was sich alles unter dem Mantel der Dunkelheit verbergen kann, durchleuchtet die experimentierfreudige Theatergruppe „Schmiere“ in ihrem Musical „Spätlese“.

Unter bewährter Regie von Anton Demmeler präsentieren rund 50 Akteure vor und hinter den Kulissen knapp drei Stunden lang fesselnde Szenen der Nacht – in tiefsinnigen Gedichten oder Texten zum Ausdruck gebracht, gekonnt in Szene gesetzt, gefühlsbetont gesungen oder schwungvoll getanzt – aber immer voller Faszination, Abwechslung und Spannung.Wertet man den vom begeisterten Premierenpublikum verschwenderisch gespendeten Szenenapplaus sowie den lang anhaltenden Schlussbeifall als Gradmesser, so kann die agile Theatergruppe „Schmiere“ mit dem aus eigener Feder stammenden Musical „Spätlese“, für das insgesamt zehn Aufführungen geplant sind, einen weiteren Volltreffer in ihre bisherigen Erfolge einreihen.
 
Anforderungen erfüllt
Keine andere Theatergattung ist so sehr der Zeit und den Modetrends unterworfen wie das Musical, das längst die ganze Welt erobert hat und Spitzenleistungen bedarf. Sowohl Sänger, Schauspieler, Rezitatoren als auch die Band der „Schmiere“ werden diesen Anforderungen wieder einmal voll gerecht. Ob gesanglich, instrumental, tänzerisch, humoristisch oder in literarischer Form bekannter Dichter – mit ihrer vielfältigen Bandbreite an szenischen Ausdrucksformen, deren Intensität durch Licht-Schatten-Effekte noch verstärkt wird, erfassen die Darsteller unzählige Facetten der Nacht und haben „leichtes Spiel“, ihr Publikum bei bester Laune zu halten. Als das tiefgründige Gedicht „An die Nacht“ eine nachdenkliche Stimmung verbreitet hat, vertiefen über die Bühne schwebende Nebelfrauen die meditative Atmosphäre und der Tag verabschiedet sich tänzerisch von der Nacht. Einen wirkungsvollen Kontrast bilden das romantische Gedicht „Sehnsucht“ und der zu Gitarrenbegleitung präsentierte Reinhard-May-Hit „Ich bring dich durch die Nacht.“
 
Mit feinem Gespür für die alltäglichen Probleme unserer Zeit greift „Schmiere“ auch Themen auf, deren Inhalt jeden berührt. Unter dem Motto „Angst frisst Seele auf“ lässt der Einblick in die „Gute-Nacht-Zeremonien“ im Kinderzimmer einer Durchschnittsfamilie Alpträume erahnen, die durch „Horrorszenen im Kinderfernsehen“ noch verstärkt werden.
 
Nachdem das Publikum erleben durfte, dass sich auch in der „Stadteinsamkeit“ oft ein „unverhofftes Gespräch“ ergeben kann, darf es ein „Wunschkonzert für einsame Herzen“ mithören. „Knallharte Tücken der Nacht sind gewalttätige Bands, die sich feindselig gegenüberstehen“, erfahren die Zuschauer, ehe sie vielen weiteren „besondere Gewächse der Nacht“ – vom Penner bis zum Straßenmädchen, dem Liebespaar oder der Schlafwandlerin – als „Strangers in the Night“ begegnen.
 

Gespickt mit viel Humor reihen sich der schauspielerisch gelungen und amüsant auf die Bühne gebrachte „Matratzenkauf nach Loriot“ sowie die musikalisch mitreißende Szene über den Nachtschichtbetrieb in einem russischen Kernkraftbetrieb in die Inszenierungen ein, ehe „Mondgeschichten“ wieder einen romantischen Akzent setzen, dessen eindrucksvollen Höhepunkt die spanische Weise „La Luna“ bildet.

Das Magische
Das Magische gewinnt an Gestalt, als die Mitternachtsglocke schlägt und Puppen und Stofftiere munter durch das Kinderzimmer twisten lässt. Aber auch das Thema Liebe, so unerschöpflich es nun einmal ist, nimmt einen breiten Stellenwert in den Schattierungen der Nacht ein. Sehnsuchtsvolle gesungene Liebeslieder und amüsante Bettgeschichten münden schließlich in der letzten Nacht im Leben eines Menschen, die ein bereits mit dem letzten Hemd bekleideter Totgeweihter mit „I’m going home“ ausklingen lässt. Nachdem der Sternhimmel auch das Thema „Sehnsucht“ beleuchtet sowie funkelnde Sternmädchen einen leuchtenden Nachthimmel ins Theater gezaubert haben, wünschen Band, Sänger und Akteure der „Schmiere“ ihrem Publikum gemeinsam eine „Gute Nacht“.
 

Quelle: Illertisser Zeitung 29.10.2001