Schindluder

2000

„Schmiere“ treibt Schindluder

Babenhauser Theatergruppe glänzt mit einem Stück über das Mittelalter

Babenhausen |fs|
 

Schwarze Messen in der Klostergruft, Friedhof der Ungetauften, pädophiler Beichtvater und lesbische Nonnen, aber auch Teufelsaustreibung und dem Freislerschen Volksgerichtshof stark ähnelnde Inquisitionstribunale – die Babenhauser Theatergruppe „Schmiere“ treibt mit ihrem neuen Stück nicht „Schindluder“ mit der Klostergeschichte, sondern legt ihre Finger in Wunden der Kirche. Deren schwärzeste Stunden werden schauspielerisch hervorragend herausgearbeitet, regen zum Reflektieren an.

„Es war einmal im Jahre 1430“: So fangen normalerweise Märchen an. Was die Theatergruppe Schmiere in ihrem neuen Stück „Schindluder“ aber mit dieser Zeit verbindet, ist eher ein „nightmare“ für die damalige Amtskirche. Dabei lässt die kritische Bühnentruppe kein gängiges Klischee aus, was ein fantasievoller Mensch mit der Einrichtung eines sogenannten Doppelklosters verbindet.
 
Doch das erschütternde daran ist, dass diese Szenen auf wahren Begebenheiten beruhen, allerdings fokussiert auf Kapitelsaal und Gruftbereich der Magdalenenschwestern und Paulanerbrüder.
 
Ob alkoholabhängige Klosterschwestern mit und ohne Kind, junge Nonnen in guter Hoffnung, pädophiler Beichtvater oder die damals real existierenden Friedhöfe der Ungetauften, die Theatergruppe Schmiere spart kein Tabuthema aus.
 
So spielt die adelige Stiftsdame ihre eingekauften Privilegien voll aus und lässt im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen – sprich junge Nonnen oder Gefangene – nach ihrer Rute tanzen. Wenn schläge an die Leiden Christi erinnern sollen und Lachen ein Werk des Teufels ist, so bleibt nicht viel Platz für heitere Besinnlichkeit, die es durchaus im Mittelalter gab.
 
Das ganze noch mit einer erpressbaren Äbtissin mit Kind, einer in froher Erwartung stehenden Nonne, einer Unterschlupf suchenden Ketzerfamilie und dem sich im Haus befindenden Inquisitoren angereichert ergibt sich eine hoch explosive Mischung, die jederzeit in die Luft gehen kann. Die Lunte ist von Anfang an gelegt.
 
Auch der Tod macht vor dem Kloster nicht halt, ob notgetaufte „Totgeburt“, erstochener Prior oder gehängte Ketzer. Allgegenwärtig ist auch Umberto Ecos „Der Name der Rose“, vor allem in den düsteren Grufträumen. Hier herrschen das Dunkel, die schwarzen Messen, die Nigromantie, Teufelsaustreibung samt Kaputzenfrauen und Herxenverfolgung. Vermeintliche Herätiker und Simonisten werden verteufelt, im Gewölbe Schindluder getrieben – „die Brut des Satans ist aufgegangen“. Die schwärzesten Stunden der Kirchengeschichte werden gnadenlos aufgedeckt, „Weiber“ in nicht immer druckreifem Vokabular als Sündenböcke aller Verderbtheit gebrandmarkt.
 
Im Zentrum des dramatischen Geschehens stehen plötzlich der vermeintliche Ketzer („Wie kann ein Krieg nur heilig sein? Die Kirche hat sich von Christus gelöst…“) und dessen Tochter Berthe. In Letzterer ist schnell diejenige gefunden, die das ganze Kloster verhext habe, inklusive aller langjährigen Verfehlungen auf moralischem oder sexuellem Gebiet. Nur konsequent bricht der Kalfaktor den Stab über ihr, nachdem zuvor der Schreiber minutiös und detailliert die Folterprotokolle zum Besten gegeben hat. Hierzu passt auch, dass nicht für das Opfer, sondern für ein „Gelingen der Tortur“ eine Messe gehalten wird. Absolutistische Kirche und drittes Reich stehen dabei auf einer Stufe, erinnert das Inquisitionstribunal an die Verhandlungen des Freislerschen Gerichtshofes. In beiden Fällen herrscht rüder Kasernenhofton, kommt der Angeklagte weder zu Wort, noch zu seinem Recht, und erfolgt die Vollstreckung des bereits vorher fest stehenden Todesurteils unmittelbar nach Verhandlungsschluss.
 
In sich schlüssig läuft der Handlungsfaden durch das Stück, nimmt Anton Demmeler als Regisseur und Autor keine Rücksicht auf das Nervenkostüm der Besucher. Überzeugend setzen die Schauspieler die ihnen zugeteilten Charaktere meisterhaft um, appellieren aber gleichzeitig daran, dass so eine dunkle Zeit nie mehr passieren darf – was die Weltgeschichte wiederum aber eindeutig widerlegt.
 

Quelle: Illertisser Zeitung vom 02. November 2000