Joch

1998

Unter dem Joch der Gesellschaft

Theatergruppe Schmiere glänzt mit betroffen machender, sozialkritischer Szenenfolge

Babenhausen |fs|

„Ja der Große trägt die Ehre und der Kleine trägt das Joch.“ Wie ein roter Faden zog sich dieses Thema durch die gleichnamige Szenenfolge, bei der die Babenhauser Theatergruppe „Schmiere“ sich mit den Problemen Menschen zweiter Klasse auseinandersetzt. Ob Hure, bunte Witwe Behinderte oder sexuell Geknechtete, aber auch Hexenwahn und geheime Wünsche – die Farbe schwarz als Synonym für Finsternis, Einsamkeit und Not dominierte bei dieser sozialkritischen Betrachtung.

Nicht nur die in der frei nach Gerhard Polt geschaffenen Eröffnungsszene sondern für den gesamten Theaterabend galt der Filmklassikertitel: „Man spricht deutsch!“ so wurden die Probleme der Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, gekonnt aufbereitet und gleichzeitig den Besuchern ein Spiegel vorgehalten.
 
Man habe zwar, so die erste Szene, prinzipiell nichts gegen den „Krüppel“, jedoch wäre es oft besser, diese fielen den Mitmenschen nicht zur Last, treibt man „mit den Deppen die Welt um“ und hätte es das alles „unter Hitler“ nicht gegeben.

Bereits das überleitende Lied „Schwarz du bist meine Farbe“ machte den Inszenierungsbogen deutlich, nämlich die Finsternis, Einsamkeit und Not der Menschen zweiter Klasse und deren oftmals damit verbundenen Todessehnsucht.

Machenschaften der Seelenfänger

In „Heilsbringer“ wurden die Machenschaften dubioser Seelenfänger, die mit „Tabletten der Erkenntnis“ und blanker Gewalt („…das Böse muß raus“) ihre Opfer gefügig machen, angeprangert. Anstatt der versprochenen Befreiung und Glück zielen diese Sekten nur auf den Geldbeutel ihrer „Neuen“ und verbauen ihnen u.a. mit Gehirnwäsche den Weg zum „Leben in Freiheit“. In den anschließenden fünf Kurzszenen kommen Außenseiter zu Wort. Die von allen verachtete Hure („Die Männer gehen doch auf den Strich“) wehrt sich ebenso gegen die Vorurteile, wie die „bunte Witwe“, die schnell zum Dorfgespräch wird, weil sie nicht schwarz sondern „bunt trägt“. Bloß nicht aus der Reihe tanzen heißt es in „Mahlzeit“, während aufgrund bestehender Rollenklischees nicht die Bankräuber, sondern der „Penner“ abgeführt wird.

Während ein alter Mann mit junger Frau von Manneskraft und Stärke zeugt, gilt im umgekehrten Fall die ältere Single mit jungem Lover als „dia Sau“. Behruhigend dann die überleitende Refrains, wonach der Ober den Unter sticht, beziehungsweise der Kleine das Joch trägt, doch am Ende für alle „nur sechs Bretter und ein Loch“ bleiben.

Geheime (sexuelle) Wünsche bleiben in „Gedanken sind frei“ oftmals auf dem Altar der Konventionen ebenfalls liegen, wie ersatzlos gestrichene „wegrationalisierte“ Arbeitsplätze. Do degeneriert das Individuum, das man wie ein „defektes Teil“ austauscht, zu einer Nummer, die man auf den „Abfallhaufen des Wachstumswahns und der Gier nach Geld“ wirft.
 

Heitere Aspekte einer düsteren Problematik werden bei der „manipulierten“ Untersuchung der Pflegebedürftigkeit der Oma angesprochen. Anstatt die Blumen nach einem Lebensrückblick ins Grab zu werfen, landen diese im Publikum.

Der „Schwarze Vogel“ kreist nicht nur in der Szene „Das Opfer durch die Kulissen. Die Betroffenheit der Besucher über das Mädchen, das unter der sexuellen Ausbeutung ihres Vaters leidet und ihre einzige Chance im Selbstmord sieht, war in der atemlosen Stille im Publikum spürbar.

Um Sex „zu Schleuderpreisen“ mit Kindern und Jugendlichen, diesmal an einem Strand in Thailand, dreht sich alles in der vorletzten Szene. Pascha- und Machtgehabe verdeutlichen die Sklaventreibermentalität und unterstreichen die Not der Opfer, die einfach „benutzt werden“.

Schauspielerischer Höhepunkt ist sicher das Schlußbild, in der der „Nachtvogel“ schreit und damit die Ankunft eines Totgeborenen untermalt. Ausdrucksstark „hängen“ die Hexen und ihr Meister in der Dekoration und vermitteln musikalisch die Sorgen, die die Bauernfamilie in einer Welt von Aberglaube und Hexenwahn gefangen hällt.

Um all diesen Ausgrenzungen begegnen zu können gilt der letzte Satz des Schlußliedes, nämlich „man braucht Menschen die etwas riskieren“.

Etwas riskiert haben die knapp 40 Akteure der Theatergruppe Schmiere bestimmt unter der Regie von Anton Demmeler, der auch das Stück schrieb. Trotz äußerst ungünstiger Rahmenbedingungen aufgrund des Theaterumbaus schufen sie wieder ein Werk, das zum Nachdenken anregt, auch wenn die raschen Szenenfolgen manchmal sehr sprunghaft erfolgen. Premierenpannen gab es kaum zu erkennen oder wurden gekonnt überspielt, wie beispielsweise im Vorgespräch bezüglich der Pflegebedürftigkeit oder bei zu spät einsetzender Tanzmusik.

Unbestritten bleiben die hohen schauspielerischen Fähigkeiten, aber auch die Live-Musikalität, mit der Band und Solosänger, mit der virtuosen Nicole Martin an der Spitze, bekannte Melodien von Simon & Garfunkel, Lloyd Webber, Vaya con Dios oder Ludwig Hirsch umsetzen. Auf alle Fälle gelang der „Schmiere“ mit diesem Stück eines ihrer Hauptanliegen überzeugend, nämlich die Leute zur Diskussion über Schwachpunkte unserer Gesellschaft anzuregen.
 
Quelle: Illertisser Zeitung